Eine Handvoll Fehler kommen beim Einsatz von Storytelling im Marketing häufig vor. Wir verraten, welche das sind und wie Sie sie vermeiden können.
Fehler Nummer 1: Du, ich und alle, die wir kennen
Stellen Sie sich vor, Sie sind Gast einer Party mit Marketing-Kollegen, auf der Sie nur den Gastgeber kennen. Der hat natürlich, wie es sich für einen guten Gastgeber gehört, zum Reden keine Zeit. Sie haben zwei Möglichkeiten. Entweder, Sie hasten von einem zum anderen, schütteln mindestens eine Hand pro Minute, sagen wieder und wieder Ihre bald wie auswendig gelernt klingende Selbstbeschreibung und können sich in all dem Chaos keinen einzigen Namen merken. Am Ende der Nacht haben Sie wahrscheinlich ein paar interessante Geschichten gehört – das meiste aber vergessen, noch bevor Sie zu Hause sind.
Die zweite Möglichkeit ist, sich zwei Stunden Zeit für eine Person zu nehmen, Fragen zu stellen und auf Fragen zu antworten. Selbst bei größter Partyausdauer ergibt das maximal acht Begegnungen pro Nacht. Wahrscheinlich eher zwei. Wetten, dass Sie diese beiden Namen nicht gleich wieder vergessen werden und sich an die Geschichte mit dem Milchzahn und der Waschmaschine auch drei Wochen später noch erinnern werden?
Wir alle haben ein natürliches Talent, uns gute Geschichten zu merken. Allerdings nicht in unendlicher Zahl. Egal, wie gut eine Geschichte ist: Wenn in kürzester Zeit fünf ähnlich gute folgen, hat in der Summe niemand etwas davon. Vertrauen Sie auf Reduktion. Setzen Sie bei Ihrer Form des Storytellings auf ein bis zwei starke Protagonisten. Und zwar egal, ob es sich um einen geschriebenen Text, ein Video oder einen Audiobeitrag handelt. Machen Sie Ihre Leser und Zuhörer mit diesen Protagonisten vertraut. Nutzen Sie sie als Anker und Katalysator gleichermaßen. Sie werden sehen: Solche Protagonisten bleiben im Gedächtnis. Das heißt nicht, dass kein anderes menschliches Wesen in der Story vorkommen darf. Betrachten Sie diese allerdings wie Partygäste, die vor Ihnen am Buffet anstehen: Irgendwie gehören sie zum Setting dazu, sind aber immer weit genug entfernt, um das aufregende Gespräch, das Sie gerade führen, nicht zu stören.
Fehler Nummer 2: Muss ich mich jetzt schon festlegen?
Da ist sie, die eine epochale Idee, die alles ändern wird. Gäbe es einen Oscar für Storytelling-Plots, er wäre Ihnen sicher. Die Protagonisten (ein bis zwei, das haben wir ja gerade eben gelernt), die Handlung, die Optik, alles stimmt. Sogar an die passende Musik haben Sie gedacht, beziehungsweise Ihr alter Freund aus Schulzeiten, der jetzt Sounddesign… Als Sie schon mittendrin sind in der Umsetzung Ihrer kühnsten Träume fällt Ihnen auf, dass Sie gar nicht wissen, wozu das alles gut sein soll. Nett anzusehen, natürlich, aber was wollen Sie wirklich damit bezwecken? Ist die Welt allgemein und das Internet im Besonderen nicht voller nutzloser kleiner schöner Filmchen? Machen Sie nicht den Fehler, einen weiteren nutzlosen hinzuzufügen. Überlegen Sie, was Sie mit diesem Film, der kein Filmchen sein soll, diesem Text, diesem Hörstück bezwecken wollen. Seien Sie dabei um Himmels willen ehrlich. Es geht ums Verkaufen? Dann tun Sie nicht so, als wollten Sie das Walsterben verhindern. Sie wollen Ihre Reichweite in sozialen Netzwerken erhöhen? Dann spielen Sie nicht den Weihnachtsmann.
Fehler Nummer 3: Ich mochte die Idee mit den sprechenden Ameisenbären…
Noch mal zurück zu Punkt 2. Inzwischen haben Sie Ihr Ziel definiert, können sich also getrost wieder der Umsetzung Ihres Lebenswerks widmen. Doch schon wieder ist Vorsicht geboten: Ist dieses Lebenswerk auch für andere Menschen interessant? Und zwar nicht nur für Ihre Eltern und Ihren Partner oder Partnerin? Hand aufs Herz: Wie viele tolle Ideen sind nur im eigenen Kopf toll? Hat Ihre Story genug Relevanz, Brisanz, Aufregung, um auch völlig Unbeteiligte hineinzuziehen? Und zwar so, dass sie unmöglich vor deren Ende aussteigen können? Betrachten Sie sich selbst mit einem möglichst gnadenlosen Blick. Bin ich der brillante Geschichtenerzähler, für den ich mich halte?
Wenn ja: Noch mal Glückwunsch. Wenn nein: Keine Sorge, wie das meiste im Leben kann man auch das Erzählen lernen. Überlegen Sie, ob Ihre Protagonisten stark genug sind (jaja, das hatten wir schon) und ob deren Geschichte über die gesamte Dauer ihrer Erzählung trägt. Fragen Sie sich, ob Sie das passende Format gewählt haben. Schauen Sie, wie es die anderen machen. Geben Sie sich Zeit, haben Sie Geduld. Verschenken Sie eine gute Idee nicht, weil deren Zeit noch nicht reif ist. Schließlich: Zeigen Sie die Geschichte einer neutralen Person und nein, hier ist nicht Ihre Mutter gemeint. Nicht mal sie hat das Ding mit dem Ameisenbär nicht kapiert? Dann weg damit.
Fehler Nummer 4: Ich <3 Konflikte – nicht
Wäre eine Welt ohne Probleme nicht ein wunderbarer Ort? Das stimmt. Sehr wahrscheinlich wäre sie aber auch ein Ort ohne zahlungskräftige Kunden. Die meisten Dienstleistungen und Produkte existieren, um Probleme zu beseitigen oder Bedürfnisse zu stillen (was letztlich das gleiche ist). Wenn alle mit allem rundum zufrieden wären, wer würde dann zum Friseur gehen, eine Hausratsversicherung abschließen, ein iOS-Kassensystem benutzen? Dieses Prinzip gilt auch fürs Erzählen. Eine Geschichte über glückliche Menschen ohne Sorgen und Probleme? Genau, die langweilt schon beim Aufschreiben – und niemand merkt sie sich. Wenn schon zu Beginn feststeht, dass am Ende alles in Butter ist, kann man sich doch gleich mit etwas anderem beschäftigen.
Überlegen Sie mal kurz: Enthalten nicht alle großartigen Erzählungen wenigstens einen Konflikt? Für antike Tragödien gilt das genauso wie für Hollywood-Blockbuster oder brasilianische Telenovelas. Ein Konflikt sorgt für Spannung und Rätsel: Wird es gut ausgehen? Kommt jemand zu Schaden? Wer kriegt am Ende das Girl? In der Literaturtheorie bezeichnet ein retardierendes Moment jenen Punkt innerhalb einer Erzählung, an dem der Wind zu drehen droht. Die Lösung ist schon in Sicht, ja eigentlich zum Greifen nahe, als plötzlich alles zu kippen droht. Es ist dieser alles entscheidende Moment kurz vor der Katharsis – die in der Dramentheorie die Erlösung meint – der eine okaye von einer wahnsinnig guten Geschichte unterscheidet. Zögern Sie ihn solange wie möglich hinaus. Feiern Sie diesen Moment.
Hier ein klasse Beispiel für eine wahnsinnig gut erzählte Geschichte vom Regisseur Eugen Merher, die er ursprünglich für Adidas konzipiert hatte.
Fehler Nummer 5: Wir könnten dem sprechenden Ameisenbären einen Glitzeroverall anziehen?
Sie kennen vielleicht die alte Bauhaus-Weisheit form follows function. Ganz ähnlich verhält es sich beim Storytelling, bloß dass es hier keine Feststellung ist, sondern ein Befehl. Die Optik einer Geschichte, also ihre ästhetischen Mittel, sollten niemals lauter sein als die Geschichte selbst. Wieder mal ist Selbstkritik gefragt. Ist Ihre Geschichte wert, erzählt zu werden? Dann nutzen Sie die besten Ihnen zur Verfügung stehenden Mittel, um sie leuchten zu lassen. Wenn es die beste Story Ihres Lebens ist, sind die besten Mittel gerade gut genug. Und wenn nicht, sparen Sie sich die Mühe. Es gibt kaum etwas Peinlicheres als schlechte, langweilige, uninteressante, ärgerlich-überflüssige Geschichten, die aufgeblasen werden, um von ihrer Inhaltslosigkeit abzulenken.
Stellen Sie sich zwei Werbefilmer vor. Einer von ihnen hat ein winziges Budget, aber eine Idee für einen Spot, der jeden Zuschauer in seinen Bann schlägt. Natürlich wäre es schön, wenn er diesen mit einem Team von vierzig Leuten umsetzen könnte, inklusive der besten Maskenbildnerin des Landes und einem hervorragenden Catering. Aber auch mit zwei Praktikanten als einzigen Mitarbeitern wird sein Spot die Aufmerksamkeit bekommen, die er verdient – seine Storyline ist einfach so gut ausgearbeitet. Ihm gegenüber steht der saturierte Großregisseur, auf den das Sponsoring förmlich niederregnet, der aber innerlich längst gekündigt hat. Seine mit größtem finanziellen und personellen Aufwand gedrehten Filmchen werden kaum jemandem ein Leuchten ins Gesicht zaubern, nicht mal ihn selbst. Zurück zum Ameisenbär: Wenn dieser ins Nirgendwo führt, nützt es nichts, ihn in einen Glitzeroverall zu stecken, so wenig wie es hilft, die x-te Boy-meets-Girl-Story (am besten konfliktfrei!) in 4K zu drehen. Also: Denken Sie ausnahmsweise klein. Besteht Ihre Idee auch mit einfachsten Mitteln? Ja? Dann gehen Sie noch einmal alle vorhergehende Punkte durch. Wenn alles passt, legen Sie los. Nein? Denken Sie noch mal nach. Welche Geschichte würden Sie gerne erzählt bekommen?